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Engpassanalyse und Massnahmenkatalog «innere Reserven» einer ARA

Stand: 02.09.2024

1. Engpassanalyse zur Ermittlung der «innere Reserven» einer ARA

1.1 Einleitung 

Ziel der Engpassanalyse ist die Ermittlung der inneren Reserven der ARA. Die Engpassanalyse muss sowohl für das biologische Verfahren als auch die hydraulische Kapazität durchgeführt werden. Die Reinigungsprozesse einer ARA unterliegen physikalischen, hydraulischen und biochemischen Effekten, welche in den vier Reinigungsstufen einer kommunalen ARA ablaufen:  

Kategorisierung Verfahrensstufe Effekt 
Erste Stufe (mechanische Reinigung) mechanische Reinigung für den 
Grobstoffrückhalt  
Hydraulisch und 
physikalisch 
Zweite Stufe (biologische Reinigung) biologische Reinigung zur Elimination der gelösten Schmutzstoffe (Organische Stoffe, Stickstoff und teilweise Spurenstoffe) Hydraulisch und 
biochemisch 
Dritte Stufe (chemische Reinigung) – integriert in die zweite Stufe chemische Reinigung für die 
Phosphorelimination 
Hydraulisch und 
chemisch 
Vierte Stufe (Filtration & EMV) weitergehende Feststoffelimination (z.B. Sandfiltration) und / oder Behandlungsstufe zur Spurenstoffelimination Hydraulisch und physikalisch oder chemisch 
Tabelle 1: Kategorisierung der ARA Verfahrensstufen und den ablaufenden Effekten. 

Die zweite Stufe ist das Herzstück der Abwasserreinigung. Ohne funktionierende Biologie können die gelösten Schmutzstoffe nicht ausreichend eliminiert werden und der Ablauf der ARA kann die gesetzlichen Anforderungen nicht erfüllen. Entsprechend steht die Engpassanalyse beim biologischen Verfahren immer an erster Stelle. Sofern dabei Reserven eruiert werden, welche eine dynamische Erhöhung der Wassermenge erlauben, ist anschliessend die Analyse der hydraulischen Kapazität der übrigen Anlagestufen durchzuführen. 

1.2 Engpassanalyse Verfahren 

1.2.1 Unterschiede bei den Verfahren 

In der Praxis kommen verschiedene biologische Verfahren zur Anwendung. Die Verfahren unterscheiden sich in der Art und Weise der Bakterienansiedlung (suspendiert oder festsitzend), Anzahl Stufen des biologischen Reinigungsprozesses sowie in der Art der Feststoffabtrennung. Entsprechend sind nicht alle Verfahren gleich flexibel bezogen auf die dynamische Erhöhung des ARA-Zuflusses. Die Tabelle 2 gibt einen Überblick über das Potenzial der verschiedenen Verfahren: 

Verfahren Bakterienansiedlung/ Anzahl Reaktoren biologischer Reinigungsprozess Potenzial/ Limite für eine Erhöhung der maximalen hydraulischen Belastung 
Konventionelle Belebtschlamm-anlage Belebtschlamm – suspendiert; Zwei Reaktoren (Biologie und Schlammabsetzung im entkoppelten NachklärbeckenEntkopplung der Biologie und der Nachklärung, daher grosses Potenzial (bei Senkung von TS in Biologie kann die Hydraulik auch auf die Nachklärung erhöht werden; siehe auch Tabelle 4) 
SBR Belebtschlamm – suspendiert; Biologiestufe und Absetzprozess im gleichen Reaktor, zeitlich differenziert und zeitlich gesteuert Anpassung der Schlammkonzentration und der Zykluszeiten möglich. Ein schneller Wechsel auf kürzere Zykluszeiten führt zu schlechterer Reinigungsleistung (Nitrifikation/Denitrifikation). Vorlage und nachgeschalteter Ausgleichsbehälter als hydraulische Limiten, falls die Kapazität des SBR nicht ausreicht. – Potenzial evtl. in den Sommermonaten oder bei geringerer Anlagenbelastung 
Hybrid  Wirbelbett Belebtschlamm – suspendiert und Biofilm – festsitzend auf Träger; Zwei Stufen (Biologiestufe und Schlammabsetzung im entkoppelten Nachklärbecken) Entkopplung der Biologiestufe und der Nachklärung, daher Potenzial eher limitiert durch das Ausschwemmen der Trägerelemente im Nitrifikationsteil resp. hydraulische Kapazität des Rückhaltesiebs (Verstopfungsrisiko). Risiko: Lastspitzen sind schwierig zu handeln. Reines Wirbelbett: Schlechtere Flockung der Nachfällung 
Biofilter Biofilm- festsitzend; Biologiestufe und Schlammrückhalt im gleichen Reaktor gekoppelt.  Hydraulisch limitiert. Die maximale Dimensionierung ist fix – definierte Kontaktzeit. Keine Pufferkapazität für Stossbelastung. Unterbelastung nur limitiert nutzbar aufgrund hydraulischer Limitierung. 
MBR (Membranbioreaktor) Belebtschlamm – suspendiert; Biologiestufe und Schlammabtrennung (Membranen) entkoppelt.  Hydraulisch limitiert durch die Membranfläche und die Dichte des Wassers.  Nur bei ausreichenden Volumen über der Membran und evtl. in den Sommermonaten (bessere Permeabilität) ist eine Erhöhung denkbar  Kleineres Biologievolumen, da höhere Schlammkonzentration -> Schlechtere Pufferkapazität für Impulsbelastungen 
Tabelle 2: Einschätzung des Potenzials verschiedener Verfahren zur dynamischen Erhöhung des ARA-Zuflusses 

Da in der Schweiz mehrheitlich (> 80%) konventionelle Belebtschlammanlagen im Einsatz sind, beschränken sich die folgenden Ausführungen auf dieses Verfahren mit Fokus auf die Abwasserstrasse. Die Auswirkungen der dynamischen Erhöhung des ARA-Zuflusses auf die Schlamm- und Gasbehandlung sind i.d.R. von untergeordneter Bedeutung.  

1.2.2. Relevante Parameter 

Der biologische Reinigungsprozess ist abhängig von den vorherrschenden Umweltbedingungen sowie unterschiedlichen Parametern: 

  • Temperatur: Effizienz biologischer Abbau, Dichte des Wassers, Reaktionsgeschwindigkeit, Sauerstofflöslichkeit 
  • Zielkonflikt: Die zunehmende Reaktionsgeschwindigkeit von biologischen Aktionen bei steigender Temperatur kann zusammen mit der abnehmenden Löslichkeit von Sauerstoff zu Sauerstoffmangel in den Sommermonaten führen (insb. in Situationen an der Belastungsgrenze). 
  • Salzgehalt im Wasser – Winter: Ionenaustausch von NaCl mit Mg verändert die Schlammstruktur 
  • Durchmischung und Aufenthaltszeit – Kontakt zwischen Belebtschlamm und Schmutzstoffen 
  • Dem aktuellen Prozesszustand; TSBB und SVI bestimmt die Belastbarkeit der NK; Masse der Nitrifikanten wird bestimmt durch NH4-Fracht der letzten Tage.   

Neben diesen Umweltbedingungen, zentralen Parametern und dem aktuellen Prozesszustand ist der aktuelle Auslastungsgrad der ARA massgebend, ob die geforderten Einleitbedingungen der ARA auch mit einer zusätzlichen hydraulischen Belastung eingehalten werden können.  

1.2.3 Kritische Verfahrensschritte und Risikofaktoren 

Die nachstehende Tabelle listet die für die einzelnen Schmutzstoffe kritischen Verfahrensschritte, Risikofaktoren bei der dynamischen Erhöhung des ARA-Zuflusses sowie die Auswirkungen auf die Ablaufwerte auf. 

Schmutzstoff Kritischer Verfahrensschritt Risikofaktor bei Erhöhung der maximalen hydraulischen Belastung Auswirkung auf Ablaufwerte 
Organische Stoffe  (DOC, CSB) Biologie: ausreichend Schlamm erforderlich für den Abbau  Je mehr Schlamm im Biologiebecken vorliegt, desto grösser ist die biologische Reinigungskapazität (Diversität der Bakterien, Kontakt, Reaktionszeit).  erhöhter DOC, erhöhter gelöster CSB / Überschreitungen möglich  
Stickstoff (Ntot, NH4+, NO2, NO3, N2O) Biologie: ausreichend Schlamm und genügend Schlammalter sowie die Nitrifikantenbiomasse sind erforderlich für den Abbau/ Gleichgewicht zwischen  
De- und Nitrifikation nötig (ausreichend Volumen) Nachklärung: ausreichende Absetzung für den Schlamm   
Dito oben; Nitrifikation ist stärker temperaturabhängig als der Abbau von organischen Stoffen; grosse belüftete Reaktoren erforderlich für Nitrifikation – massgebend ist der Aufbau der Nitrifikantenbiomasse, welche sich durch die Ammoniumfracht der Vortage aufgebaut hat. Zusätzliches unbelüftetes Volumen für Denitrifikation sicherstellen. Beruhigende Massnahmen gegen überhöhten O2-Eintrag bei Regen treffen. Durch die tiefere Konzentration an leichtabbaubarem CSB ist eine reduzierte Denitrifikation zu erwarten – Zielkonflikt! Neuste Erkenntnisse zeigen, dass ein weitgehender Stickstoffabbau die Lachgasproduktion reduziert. Risiken zeigen sich speziell im Frühling und bei einer schlechten Schlammstruktur (hoher SVI) Erhöhtes NO2 und NH4+  Zu tiefe Gesamtstickstoffelimination; Überschreitung möglich; N2O Bildung in Übergangszeit möglich 
Phosphor (Ptot) Nachklärung: ausreichende Absetzung für den Schlamm  Filtration: Rückstau Wird ev. zu wenig gebunden im Schlamm und am Fällmittel; die Dosierung von Fällmittel kann Q abhängig gesteuert werden Ev. Umfahrung Filtration bei zu hoher hydraulischer Belastung Erhöhter gelöster und  
partikulärer P/ Überschreitungen möglich  
Schwebstoffe (GUS) und partikulärer CSB  Nachklärung: nicht ausreichende Absetzung für den Schlamm  Filtration: Rückstau Aufgrund der höheren Schlammvolumenbeschickung der Nachklärung können die ungelösten Stoffe bei einem hydraulischen Stoss ev. ausgeschwemmt werden.  Ev Umfahrung Filtration bei zu hoher hydraulischer Belastung Erhöhter GUS/ ev. partikulärer CSB / Überschreitungen möglich/ zu hoher Schlammverlust kann zu Problemen führen  
Spurenstoffe Massgebend für die Elimination von Spurenstoffen ist die ideale Durchmischung, die Kontakt- und die Reaktionszeit. Dies gilt für Verfahren mit Pulveraktivkohle  
oder granulierte Aktivkohle und auch für die Ozonung. In der Biologie ist das Schlammalter relevant 
Biochemische und hydraulische Limitierung:  Unzureichende Betriebsmittel und/oder Kontaktzeit für die eingetragene Fracht (Aktivkohle oder Ozon). Erreichen der Eliminationsleistung erschwert durch zeitliche Verzögerung und negativem Konzentrationsgradient von Zu- und Ablauf bei Regenfall und erschwerte Detektion bei tiefen Konzentrationen. Aktivkohle-Rückhalt von >95% technisch machbar, jedoch schwer kontrollierbar. Messung: online GUS- und Trübungsmessungen Unzureichende  
Eliminationsleistung, PAK-Abtrieb zu hoch, Ozonaustrag 
Tabelle 3: Kritische Verfahrensschritte, massgebende Engpässe und kritische Stoffparameter für diese Engpässe. 

1.2.4 Auswirkung auf Verfahrensstufe zur Elimination von organischen Spurenstoffen 

Die VSA-Publikation «Zu behandelnde Abwassermenge und Redundanz von Reinigungsstufen zur Entfernung von Mikroverunreinigungen» empfiehlt, dass der gesamte Ablauf der biologischen Reinigungsstufe über die EMV-Stufe geführt wird (Vollstrombehandlung). Abweichungen sind nur in begründeten Fällen mit eindeutiger Dokumentation möglich. Wenn die Hydraulik über dem QDim liegt, gilt die Forderung zur Vollstrombehandlung nicht zwingend (siehe Kapitel 1.2 der Richtlinie – wichtige Randbedingung BAFU). 

1.3 Engpassanalyse Hydraulik 

Massgebend für die Erhöhung der hydraulischen Belastung über den Dimensionierungszufluss (QDim.) ist die hydraulische Kapazität entlang der gesamten Abwasserstrasse. Der erhöhte ARA-Zufluss darf nicht zu einem Überfluten eines Anlageteils, zu unerlaubtem Rückstau oder zu Entlastungen führen.  

Jegliche Gerinne, Kanäle, Zwischenentlastungen und Hebewerke sowie die mechanischen und physikalischen Stufen sind hydraulisch nach standardisierten Normen zu überprüfen. Zum einen erfolgt diese Prüfung über die Bestandspläne, jedoch auch mit der Analyse der Betriebsdaten (über einen Zeitraum von ca. 2-4 Jahren) und dem hydraulischen Längsprofil. Zudem ist das Gespräch mit der Betreiber:in ein wichtiges Element, um eine Erhöhung der Wassermenge über die Gesamtanlage zu erwägen. Jedoch kann erst eine detailliert geplante Pilotierung bestätigen, dass die Wassermenge erhöht werden kann.  

Die nachfolgende Tabelle zeigt die Effekte und die Risiken der einzelnen Stufen auf.  

Anlagestufe Stufe Effekt Risiko 
Gerinne / Kanäle Ganze Anlage, alle Stufen hydraulisch Überflutung und/oder zusätzliche Entlastung durch Rückstau 
Zwischenentlastungen Ganze Anlage, alle Stufen hydraulisch Rückstau und/oder Überflutung 
Messbereich vor Durchflussmessung Ganze Anlage, alle Stufen hydraulisch Rückstau und/oder Überflutung -> Messfehler möglich 
Hebewerke / Pumpen Ganze Anlage, alle Stufen hydraulisch Aufstau, Rückstau und/oder Überflutung 
Kies-/Steinfang 1, mechanisch hydraulisch Mehr Steine und Kies vor dem Rechen 
Rechen 1, mechanisch hydraulisch Rückstau und/oder Überflutung, erhöhte Geschwindigkeit durch das Aggregat & reduzierter Materialrückhalt. Ablagerungen bei Niedrigwasser (bei Q Reduktion) 
Sand- und Fettfang 1, mechanisch hydraulisch Rückstau, verminderte Abscheidung, mehr Sand in den nachfolgenden Becken/Schlamm (höhere Abrasion, Sand in Faulung), Kurzschlussströmungen, Anstieg Wasserspiegel, Überströmen Schwimmstoffschild 
Vorklärbecken 1, mechanisch hydraulisch Geringere Aufenthaltszeit, reduzierte Sedimentationszeit, höhere Oberflächenbelastung, Kurzschlussströmungen, tiefere Eliminationsrate und damit erhöhte Belastung auf Biologie (GUS, CSB, BSB5, Ptot und Ntot), geringere Biogasproduktion 
Schwimmschlammrinnen VKB und NKB 1, mechanisch & 2 biologisch hydraulisch Rückstau, Überflutung, Schwimmschlamm kann nicht mehr entfernt werden 
Biologiebecken 2, biologisch biochemisch Reduktion der hydraulischen Aufenthaltszeit, höhere zu behandelnde Frachten, mehr Impulsbelastungen, höherer Sauerstoffanteil in Zulauf, Risiko unvollständiger Prozessablauf, Reduktion der Zulauftemperatur, nicht ausreichende Gebläseleistung resp Lufteintrag 
Nachklärbecken 2, biologisch hydraulisch Erhöhter Schlammabtrieb, Schlammspiegel steigt, geringere Aufenthaltszeit, tiefere Abscheideleistung von ungelösten Stoffen (GUS, CSB, BSB5, Ptot und Ntot), höhere Oberflächenbelastung, Kurzschlussströmungen 
Fällung 3, chemisch hydraulisch Verkürzung der Einmisch- und Reaktionszeit, Veränderung Turbulenz 
EMV 4, weiter- gehende Stufe Hydraulisch & Biochemisch Reduzierte hydraulische Aufenthaltszeit, Kontaktzeit und Eliminationsleistung, erhöhte Nitrit- oder DOC-Konzentrationen führen zu erhöhtem Ozonbedarf, Restozongehalt resp. PAK/Micro-GAK-Schlupf steigt, GAK Filtration: Verblockung, Micro-GAK-Schwebebett expandiert 
Sandfiltration 4, weiter- gehende Stufe hydraulisch Rückstau, Verblockung, Überlauf und damit reduzierter GUS-Rückhalt 
Tabelle 4: Kritische Verfahrensschritte, massgebende Engpässe und kritische Stoffparameter für diese Engpässe. 

Das Engpasspotenzial nimmt durch die Durchflussmenge Q aufgrund der steigenden Energieverlusten H zu: 

  • Druckleitungen, Düker, Schieberöffnungen und geschlossene Gerinne weisen ein hohes Engpasspotenzial auf.  
  • Beckenüberfälle und Schlammabzugsrinnen verfügen über ein geringes Engpasspotenzial.  
  • Umlenkungen, Aufteilungen, Vereinigungen, offene Gerinne, Venturi, Hebewerke, Pumpen und Rechen liegen dazwischen mit einem mittleren Engpasspotenzial. 

2. Massnahmenkatalog zur Aktivierung der «innere Reserven» einer ARA

2.1 Vorbemerkung

Es gibt in der Schweiz noch wenig Erfahrungen mit Engpassanalysen. Der nachfolgende Massnahmenkatalog ist deshalb nicht abschliessend und wird periodisch auf Grund gemachter Erfahrungen online aktualisiert. Die Nutzer:innen werden gebeten, dem VSA allfällige Unstimmigkeiten respektive neue Erkenntnisse aus durchgeführten Referenzprojekten zu melden.

2.2 Übersicht

Sofern die Engpassanalysen für das Verfahren und die Hydraulik innere Reserven aufzeigen, ist eine Erhöhung des ARA-Zuflusses möglich (siehe nachfolgende Tabelle).

KategorisierungEngpassanalyseInneren ReserveErhöhung Wassermenge
Erste Stufe (mechanische Reinigung)Hydraulik Kapazitäts-reservenganzjährig möglich
Zweite Stufe (biologische Reinigung)Verfahren und HydraulikSaisonal

Kapazitäts-reserven  
Dynamisch
möglich in den Sommermonaten  
stets möglich resp. abhängig vom Prozesszustand  
nur nach Modell und erweiterter Messtechnik
Dritte Stufe (chemische Reinigung) – integriert in die zweite StufeVerfahren und Hydraulik stets mit ausreichender Kapazität bei den Fällmitteldosierpumpen  
Vierte Stufe (Filtration & EMV)Verfahren und HydraulikKapazitäts-reservenstets
Tabelle 5: Kategorisierung der ARA-Verfahrensstufen und mögliche Massnahmen.

2.3. Massnahmen bei einzelnen Anlagestufen

Bei der Erhöhung der Wassermenge sind für jede Anlagestufe wo nötig Massnahmen umzusetzen, um die erforderliche hydraulische Kapazität sicherzustellen. Die nachfolgende Tabelle listet Lösungsansätze für Kapazitätserweiterungen pro Anlagestufe auf:

AnlagestufeÜberprüfungMögliche Lösungsansätze für Kapazitätserweiterung
Gerinne / KanäleHydraulische KapazitätEv. verbreitern – bei kurzen Flaschenhalssituationen / oder öffnen bei gedeckten Gerinnen
ZwischenentlastungenHydraulische KapazitätEv. verschliessen
Messbereich vor DurchflussmessungHydraulische KapazitätEv. baulich anpassen
Hebewerke / PumpenHydraulische KapazitätSystem maximal ausnutzen, Ev. anlagetechnisch erweitern und baulich anpassen, Bypass vorsehen
Kies-/SteinfangRückhaltkapazität/ Geschiebe vor RechenReinigungsintervalle erhöhen
RechenGerinnebreite, Stababstand/ BelegungsverhaltenReinigungsintensität und/oder Reinigungsintervalle erhöhen
Sand- und FettfangAufenthaltszeit (> 5min), Oberflächenbeschickung (<20 m/h)Risiko von Sandablagerungen in den nachfolgenden Stufen (vermehrtes Absaugen), Redundanz sicherstellen, Räumer an neue Wasserstände anpassen, Optimierung Verteilung, Einbau hydraulischer Bremsen, Ablagerungen bei Nachtminium verhindern
VorklärbeckenAufenthaltszeit (> 30 min bei Qtw resp > 45 min bei Qtw – falls ÜSS über VKB), / Oberflächenbelastung 2.5-4 m/h (horizontal durchströmt)Erhöhte organische Belastung auf Biologie – Vorfällung prüfen, ev. Lamellen einbauen, Optimierung Verteilung, Einbau hydraulischer Bremsen
Schwimmschlammrinnen VKB und NKBHydraulische KapazitätKurzzeitig ungenügende Abscheideleistung – Anpassung Massnahmen sind selten möglich
BiologiebeckenSchlammkonzentration und Schlammalter, Kapazität für Impulsbelastungen (Ammoniumstösse)Ausreizung der maximalen biologischen Kapazität – Tagezeitliche Limitierung, Regelmässige Kontrolle vom Schlammalter, NH4– und NO2-Werte (ev. häufiger als die 24h-Sammelprobe; ev. sogar online) – Situativ Belüftung intensivieren jedoch wegen Lachgasproblematik nur mit ausreichendem Denitrifikationsvolumen
NachklärbeckenAufenthaltszeit resp. Schlammvolumenbeschickung (max. 500 bis 650 l/m2/h) und Flächenbelastung (1.6 m/h (horizontal durchströmt) resp. 2 m/h (vertikal durchströmt)Reduktion der Schlammkonzentration in der Biologie, Optimierung Verteilung, Einbau hydraulischer Bremsen (z.B. Trennbleche) oder Verlängerung von Beruhigungsstrecken – Betriebsdatenanalyse gemäss untenstehender Abbildung und regelmässige Kontrolle der GUS-Werte (ev. häufiger als die 24h-Sammelprobe; ev. sogar Trübung online). zusätzliche Lochungen in den getauchten Ablaufrohren der Nachklärbecken; Schlammspiegelmessung. Reduktion der Schlammvolumenbeschickung durch die tiefere Konzentration im Biologiebecken. Hydraulische Kurzschlussströmungen verhindern. Schlammabtrieb ist zu verhindern!
FällungEinhalten der Einmischzeit/ Turbulenz/ Aufenthaltszeit/ SedimentationszeitSituativ Dosiermenge anpassen
EMVEinhalten der Einmischzeit/ Turbulenz/ Reduzierte KontaktzeitTeilstrombehandlung, Ausreizen der maximalen Kapazitäten, Bypass vorsehen. Entlastung vor der EMV Stufe nur möglich, wenn kantonale Bewilligung vorliegt.
SandfiltrationHydraulische KapazitätEinhalten der maximalen Filtergeschwindigkeit. Rückspülungszyklus erhöhen. Notüberlauf und Bypass vorsehen. – Umfahrung nur bei Q > QDim und wenn dies keinen negativen Einfluss auf das Gewässer hat.
Tabelle 6: Lösungsansätze für Kapazitätserweiterungen pro Anlagestufe

Achtung: Wenn eine ARA empfindlich auf hydraulische Stösse oder Schmutzstoffstösse reagiert, kann es sinnvoll sein, bei Regenereignissen den Zufluss zur ARA nur langsam und schrittweise zu erhöhen. Dies ist bei der Umsetzung der Massnahmen zu berücksichtigen.

2.3.1 Exkurs: Verfahrenstechnische Limitierung Biologie und Nachklärung

Mit der Erhöhung der hydraulischen Belastung auf die Biologie und die Nachklärung wird sich der GUS im Ablauf erhöhen. Um diese Schwebstoffproblematik zu adressieren, wird die Schlammkonzentration in der Biologie reduziert. Damit wird auch die Schlammvolumenbeschickung auf die Nachklärung verringert. Mit der tieferen Schlammkonzentration und dem tieferen Schlammalter reduziert sich die mikrobielle Aktivität und Diversität. Dadurch werden je nach Schlammalter weniger CSB, Ammonium und organische Spurenstoffe abgebaut. Die nachfolgende Abbildung illustriert die Effekte:

Flussdiagramm, das die Phasen eines Wasseraufbereitungsprozesses mit Anmerkungen zu den Betriebsbedingungen und Anpassungen für jede Phase darstellt.
Abbildung 1: Darstellung der Abhängigkeiten der Prozessstufen bei einer konventionellen Biologie.

Der Schlammvolumen Index (SVI) ist gemäss Dimensionierungsnormen massgebend für die Abscheideleistung in der Nachklärung. Die Erfahrung zeigt, dass oftmals die Nachklärbecken-Konstruktion überprüft und das System auf die aktuellen Rahmenbedingungen adaptiert werden sollte. Die Becken werden manchmal sehr grosszügig dimensioniert und können dementsprechend heute oftmals mehr belastet werden, als die standardmässige Dimensionierung voraussagt, falls die Beckentiefe dies zulässt. Die untenstehende Abbildung zeigt eine mögliche Betriebsdatenanalyse wobei das 2 QTW,max dem effektiven QDim. entspricht. Eine Saisonalität beim SVI ist klar zu erkennen.

Streudiagramm zum Vergleich von tss (gesamte Schwebstoffe) mit svi (Schlammvolumenindex) für verschiedene Jahreszeiten, wobei Trendlinien das maximale Schlammvolumen für Sommer und Winter anzeigen.
Abbildung 2: Schlammvolumenindex (SVI) vs. TS-Konzentration für die verschiedenen Jahreszeiten gemäss Betriebsdaten (Winter: Dezember – Februar, Frühling: März – Mai, etc.). Rot dargestellt ist die zulässige Schlammvolumenbeschickung gemäss Dimensionierung (500 l/m2/h) für 2 QTW,max und 3 QTW,max.

Erkenntnisse liegen vor, dass die GUS-Ablaufwerte stark mit der Temperatur korrelieren. Folgende Hypothesen müssen noch weiter belegt werden (Quelle: «Optimierung der Abwasserbehandlung unter Einbezug von ARA und Netz». Hunziker Betatech AG, Juli 2018):

  • Feinere Belebtschlammflocken im Winter führen zu einer schlechteren Sedimentation. Die Flockenstruktur ist möglicherweise durch die hohen Salzkonzentrationen negativ beeinflusst.
  • Allfällige Dichteströmungen können zu einer Erhöhung des Schlammbetts und zu höheren GUS-Konzentrationen im Ablauf führen.

2.3.2 Exkurs: Verfahrenstechnische Limitierung EMV

Die Spurenstoffelimination ist aufgrund der Kontaktzeit der Spurenstoffe mit Ozon oder adsorbierender Aktivkohle hydraulisch limitiert.

Folgende Probleme können sich bei der Erhöhung der hydraulischen Belastung der EMV-Stufe ergeben:

  • Erhöhte Dosierung von Betriebsmitteln (Pulveraktivkohle oder Ozon/ Ersatz der granulierten Aktivkohle)
  • Schwierige Ermittlung der Eliminationsleistung (Zulauf-/ Ablauf ARA) möglich, da die Spurenstoffkonzentration im Zulauf bei Regen sehr schnell abnimmt, ev. kann eine Steuerung über eine SAK-Sonde weiterhelfen. Im Einzelfall kann ein Kombiverfahren der Verdünnungsproblematik entgegenwirken (die treibende Kraft der Konzentration wird bei Aktivkohleanlagen deutlich geringer).
  • Rückhalt der Aktivkohle (technisch > 95% machbar, unter Berücksichtigung der Messungenauigkeiten). Hier empfiehlt das Dokument der Plattform Micropoll vom Juni 2019 mit GUS- und Trübungsmessungen als auch mit direkten AK-Schlupfmessungen den Aktivkohleschlupf zu überwachen.

2.3.3 Teilstrombehandlung

In Deutschland wird vermehrt der Betrieb von einer Teilstrombehandlung diskutiert. Im Rahmen dieser Richtlinie setzte sich der VSA mit dieser Fragestellung auseinander und diskutierte Möglichkeiten der Umfahrung der Vorklärung oder der biologischen Stufe. Beide Massnahmen werden als drastischer Eingriff in die ARA erachtet, welche mit Risiken verbunden sind.

Mit einer Teilumfahrung des Vorklärbeckens soll der erhöhte Frachtstoss aus konzentriertem Abwasser aus dem VKB in die Biologie bei einem Regenereignis gedämpft werden. Dies bedingt entsprechende hydraulische Reserven beim Nachklärbecken sowie idealerweise erweiterte Messtechnik wie zum Beispiel eine Ammoniumssonde im Zulauf, so dass im richtigen Moment die Teilumfahrung eingeleitet und wieder gestoppt werden kann. Bei Anlagen mit Überschussschlammeindickung über die Vorklärung kann es kurzzeitig zu einer schlechteren Phosphorelimination führen.

Dagegen soll der Sandfang nicht umfahren, sondern «temporär überlastet» werden.

Der VSA rät von einer Teilumfahrung der Biologie ab. Mit dieser Massnahme wird nur ein bescheidener und schwer zu quantifizierender Effekt erzielt (geringe Elimination von Phosphor und CSB, BSB sowie GUS), dem ein erhöhtes Risiko von Schlammverlust durch die Nachklärung und damit der Reduktion des Schlammalters wegen der stärkeren hydraulischen Belastung gegenübersteht.

Nutzung saisonaler Reserven Beim Belebtschlammverfahren (und generell bei allen Verfahren mit suspendierter Biomasse) sind in den Sommermonaten aufgrund der temperaturbedingt höheren biologischen Aktivität i.d.R. Reserven vorhanden, wodurch die Kontaktzeit resp. das Schlammalter verkürzt werden kann. Daher ist eine erhöhte hydraulische Belastung hauptsächlich in den Sommermonaten zu prüfen. Auf allen Kläranlagen ist eine individuelle Abklärung nötig. Die nachfolgende Abbildung zeigt die saisonale Abhängigkeit aller beschriebenen Effekte. Nitrat kann in gewissen Fällen das ganze Jahr problematisch sein, wenn man eine Jahreseliminationsrate erreichen muss.

Saisonaler Überblick über das durchschnittliche Risiko für Wasserlebewesen in Kläranlagen basierend auf biologischen Parametern, mit einem farbcodierten Schlüssel, der die Risikostufen von niedrig (grün) bis kritisch (rot) angibt.
Abbildung 3: Saisonale Übersicht zur Erhöhung der maximalen Wassermenge bei einer konventionellen ARA.

Soll das Qmax., ARA in den Sommermonaten über das QDim erhöht werden, muss die Anlage prozesstechnisch darauf eingestellt werden. Dies bedingt in einem ersten Schritt einen geplanten und begleiteten Pilotbetrieb. Die Betreiber:in muss das Verhalten der Anlage detailliert kennen, da mit der Ausnutzung von Reserven die Sicherheitsmarge bezüglich Einhaltung der gesetzlich geforderten Ablaufwerten abnimmt. Idealerweise wird der Pilotbetrieb fachlich begleitet.

Dabei sind zwei Zielkonflikte zu beachten:

  • Mit der Annahme der Motion zur N-Elimination ergibt sich ein neuer Zielkonflikt, weil die in den Sommermonaten vorhandenen Reserven möglicherweise für eine erhöhte Stickstoffelimination genutzt werden müssen.
  • Ein weiterer Zielkonflikt besteht im Zusammenhang mit der Bildung von Lachgas. Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen, dass eine stabile Nitrifikation und eine ganzjährige Denitrifikation die Lachgasemissionen reduzieren können. Eine erhöhte Nitritkonzentration im Belebungsbecken respektive im Ablauf kann auf eine erhöhte Lachgasproduktion hinweisen. Zudem treten die Lachgasemissionen vor allem in der Übergangszeit (März/ April) auf.

Die Optimierung ist unter Beachtung dieser Zielkonflikte situativ abhängig von der ARA und dem Gewässer zu konkretisieren.

2.3.4 Nutzung kurzfristiger Reserven

Wird die Anlage dynamisch gefahren und kurzzeitig mehr Abwasser gereinigt, kann dies zu erhöhten GUS- oder Ammoniumwerten führen. Um die Reaktionszeit zu verkürzen und den Prozess zu kontrollieren, ist es sinnvoll die zu- und ablaufende Ammoniumkonzentration sowie die ablaufende Trübung online zu messen. Eine intensivere (online) Nitrit-Analytik sowie häufigere Bestimmungen der Schlammflockenstruktur helfen ebenfalls beim optimierten dynamischen Betrieb. Die Erweiterung der ARA mit Messtechnik ist für die dynamische Bewirtschaftung sinnvoll. Die Reaktionszeiten des Betriebes müssen für diese Betriebsweise verkürzt werden.

Die Reaktionen der einzelnen Anlagestufen auf eine kurzzeitige erhöhte Hydraulik (dynamische Spitzen von einigen Stunden zu Beginn eines Regenereignisses) können teilweise in einem Modell und mit Pilotversuchen abgeschätzt werden. Zur Hilfestellung beschreibt das DWA Dokument T3/2016 1 auf der Seite 27 ein Regelungskonzept.

2.3.5 Modellierung und Simulation

Eine verlässliche Aussage, ob die hydraulische Belastung der ARA über den Dimensionierungszufluss (QDim.) gesteigert werden kann, kann nur mit einer Simulation gemacht werden. Mit ersten statischen Überlegungen kann die Machbarkeit grob geprüft werden. Für die dynamischen Zustände wie die Übergänge von Trocken- auf Regenwetter ist eine dynamische Simulation aufgrund der unterschiedlichen Abhängigkeiten von verschiedenen Prozessfaktoren nötig. Die konventionelle Biologie kann am repräsentativsten modelliert werden (Ammonium). Alle anderen Verfahrensstufen und -arten können noch nicht repräsentativ modelliert werden. Die Simulation weist zuverlässige Resultate für den Testbetrieb aus.

2.3.6 Einbezug Betrieb

Massnahmen sind immer in Absprache mit dem Betrieb zu planen und umzusetzen.

Risikofaktor Lachgas

Das Forschungsprojekt der Eawag von Wenzel Gruber unter der Leitung von Adriano Joss (bis Ende 2021) zeigt, dass ein gutes Gleichgewicht zwischen Nitrifikation und Denitrifikation die Lachgasemissionen reduzieren kann. Eine erhöhte Nitritkonzentration im Belebungsbecken respektive im Ablauf kann auf eine erhöhte Lachgasproduktion hinweisen. Gemäss «N2O-emissions in full-scale WWTP» 2 treten die Lachgasemissionen vor allem in der Übergangszeit (März/ April) auf. Es wird angenommen, dass in dieser Zeit die NOB (Nitrobakter) ausgeschwemmt werden. Bis diese wieder ausreichend eingewachsen sind, kann es gut 2-3 Monate gehen.

Die Lachgasemissionen erfolgen hauptsächlich bei Trockenwettersituationen, jedoch wurden auch nach Regenwettertagen höhere Emissionen detektiert. Dies kann eventuell ebenfalls auf das Auswaschen der Nitrobakter zurückzuführen sein.

Aufgrund dieser Erkenntnisse können die Schlammkonzentration und das Schlammalter in den Sommermonaten tiefer gefahren werden, um die ARA hydraulisch stärker zu belasten. Zu Beginn der hydraulisch stärker belasteten Phase ist jedoch sicherzustellen, dass tiefe Nitritkonzentrationen vorherrschen und ausreichend Denitrifikationsvolumen sowie ausreichendes organisches Substrat zur Verfügung stehen.

Es sind zusätzliche Nitrit-Messungen nötig und eine gute Überwachung der ARA inkl. Biomasse (Schlammstruktur), wenn die hydraulische Belastung gesteigert wird. Wichtig ist, dass die ARA saisonal nicht zu lange höher belastet und mit zu wenig Reserven in den Winter gefahren wird.

Bezogen auf die zulaufende Jahresfracht werden rund 0.1 – 2.5% des eingetragenen Stickstoffs in Lachgas umgewandelt, wobei die Emission an den meisten Standorten innerhalb weniger Wochen stattfindet und stark prozessabhängig ist. Durch die hohe Klimarelevanz von N2O sind die Auswirkungen der Lachgasemissionen bei der integralen Betrachtung Netz-ARA Gewässer entsprechend zu würdigen.


  1. Publikation DWA-Themen T3/2016 «Technische Massnahmen zur Behandlung von erhöhten Mischwasserabflüssen in der Kläranlage», Herausgeber: DWA, August 2016 ↩︎
  2. Gruber W., Niderdorfer R., Bürgmann H., Joss A., von Känel L., Braun D., Mohn J., Morgenroth E., (2022), Lachgasemissionen aus ARA, Aqua&Gas 1/2022 ↩︎
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